Es gab in Deutschland schon immer ganz unterschiedliche Filme. Zunächst nah an der Dramaturgie des Theaters, oft nah an den Narrativen in klassischen Romanen, wurden Filme meist sowohl für ein Kino- wie für ein Wohnzimmerpublikum gemacht. DVDs und dann Crossmedia, Merchandise und Games haben daran in etwa so wenig geändert wie Auto- und Multiplexkinos. Eher als die Umgebung, in denen Filme gezeigt werden, spielt für die Produktion von Filmen der europäische Markt, Synonym „Cannes“, eine Rolle, und der Aufstieg von Comedians und anderen Publikumsmagneten, die bereits eingeführte, „sichere“ Größen darstellen. Seit Jahrzehnten gilt wie eine Regel: Autorenfilme sind oft anstrengend und dabei immer mehr Chabrol oder Truffaut als Godard. Personality-Filme von Komikern oder anderen Stars setzen mehr auf den Eventcharakter im deutschsprachigen Mainstream und sind außerhalb des Landes extrem uninteressant.

Der Erfolg von an Geschichte orientierten Serien und Mehrteilern zur besten Fernsehzeit war offensichtlich eine weitere Inspiration für Produzenten und Regisseure. „Internet-Thriller“ und in letzter Zeit verstärkt auch Gang-, Clan- und Neonazi-Dramen bemühen sich neben gelegentlichen Popmusik- und Heimatfilmen (hier auch gerne aus der „Szene“ Berlin) um den Anschluss an gesellschaftliche Trends und somit auch ein recht junges Publikum. Daneben: Rebellisches Kunsthochschul-Kino, seltene Arbeiten mit journalistisch-aufklärerischem Hintergrund sowie Sujets wie Außenseitertum, interkulturelle Beziehungen, Familie und Karriere.

Was ist „typisch neudeutsch“?

Die Filmförderung in Deutschland begünstigt Auseinandersetzungen mit der eigenen Region, aber auch Themen von Ökologie bis Inklusion. Das ist in Brüssel nicht viel anders, also ist „Cannes“-Kino aus Deutschland oftmals ein zumindest engagiert wirkendes Kino. Gleichzeitig fällt auf, dass bei kritischem Gehalt selten staatliche Organe oder nationale Konzernpolitik hinterfragt werden. Stattdessen geht es viel um die „menschliche Ebene“ – aber eben nicht im Stil von Nachkriegsfilmen oder denen der 68er, sondern in einem, der mehr an das Prinzip „Nächstenliebe“ als an zivilgesellschaftlich-politische Teilhabe denken lässt. Und dies wird sowohl öffentlich gefördert als auch noch zugunsten des „Unterhaltungswertes“ ein wenig amüsant gestaltet. Das wäre ein „Neudeutsch“ im negativen Sinne.

Positive Beispiele für den modernen deutschen Film finden sich oft nur in Programmkinos der Metropolen und an späten Sendeplätzen. Das Netz von Lutz Dammbeck beispielsweise verbindet ein Doku-Road-Movie mit der Recherche über den Einfluss von Nazi-Denkern auf die Ausgestaltung des Internets. Ich will mich nicht künstlich aufregen von Max Linz erzählt mit Foucault von der real existierenden Kulturindustrie und ihren Hochschulen. Dies sind postmoderne Filme, ganz im Gegensatz zu den formal konservativen Standards im deutschen wie europäischen Mainstream.

Ist „Neudeutsch“ nun also eher so etwas wie „Neusprech“ oder nach wie vor mehr „neues deutsches Kino“ wie bei von Trotta, Fassbinder und Zeitgenossen und -genossinnen? Eine Allegorie zur Popmusik mag hier weiterhelfen: Die „Neue Deutsche Welle“ war als Begriff eigentlich an „New Wave“ angelehnt, also an diejenigen Gruppen, die nach der ersten Punk-Welle bekannt wurden (Vergleiche „Nouvelle Vague“ im Kino). In England bevorzugte man bald den Begriff „Post-Punk“, während die erste wie die zweite Welle – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – in Richtung Stadionrock und/oder Produzenten-Pop aufbrach.

Kunst und Subversion im Mainstream waren aber nicht jedermanns Sache. Und so klärt sich vielleicht auch die Frage nach der Präsenz der Rebellinnen im deutschen Kino: Schlingensief hat es noch in die Charts geschafft, aber das meiste spielt sich außerhalb der Konsumtempel ab. Provokationen von Charlotte Roche oder Helene Hegemann wirken zahm gegenüber Lars von Trier und anderen, nachhaltig in künstlerischem wie massenwirksamem Sinne sind sie nie. Einen Pop-Hit wie ein Trainspotting aus Chemnitz wird es wohl auch in Zukunft kaum geben.